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TopPoint Bruchpilot

Anmeldungsdatum: 26.10.2009 Beiträge: 6
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Verfasst am: Mo Okt 26, 2009 4:42 pm Titel: Tauglichkeit und Grundgesetz |
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Hallo zusammen,
nein, ich möchte ausnahmsweise mal kein Pilot werden, ich studiere Medizin und bin auch einigermaßen zufrieden damit . Ein Schulfreund von mir würde gerne Pilot werden, was ihm aber auch erst nach 2 Jahren BWL eingefallen ist (ich mein gut, BWL... - kein Wunder!!). Nun hat er halt auch so ein verflixtes nicht Klasse1 fähiges Augenproblem (-8 Dioptrien, der Blindfisch! - ich selber hab -7 ) und fragte mich ob man da nix machen kann. Mit meinem unglaublich umfassenden Wissen über Augenheilkunde, das natürlich dem eines jeden Augenarztes in nichts nachsteht ( ), habe ich mich erstmal ein wenig in die Materie eingearbeitet, und bin dabei auch auf dieses Board gestoßen, wo ich mir einige Probleme und auch Erfahrungsberichte durchgelesen habe.
Lange Rede kurzer Sinn: Ich hab ihm schließlich auch gesagt was er schon wusste: Mit 8 Dioptrien wird das nunmal nix, aber denk doch mal nach Hobbymäßig Privatpilot zu machen, weil Klasse2 ist schließlich drin!
So, gestern Abend hatte ich aber eine zündende Idee. So wie ich das verstanden habe, sind diese medizinischen Richtlinien (also diese JAR-FCL dings) ja von der JAA, was ja letztlich so eine Art europäisches Gemeinschaftsding ist, richtig?
Dabei kam mir der Gedanke: Ist das, was da drin steht, überhaupt mit dem deutschen Grundgesetz zu vereinbaren?
Da ich Mediziner werden will und kein Jurist und daher das Grundgesetz nicht im Kopf habe, habe ich google bemüht (->Grundgesetz -> siehe unter Grundrechte), und bin auf folgende Artikel gestoßen:
In Artikel 3 Abschnitt 3 des Grundgesetztes heißt es:
"Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden."
Gleichzeitig steht in Artikel 12 Abschnitt 1:
"Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden."
Wie in Abschnitt 12 völlig zurecht steht, kann die Berufsausübung durch Gesetz geregelt werden, also kann da prinzipiell auch stehen, dass ein Mensch mit -20 Dioptrien oder auch ohne Arme kein Flugzeug führen darf, wie es eben auch die JAR-Richtlinien sagen. Macht ja auch Sinn. Würde ich als Passagier ja auch nicht unbedingt wollen.
Trotzdem dürfen Menschen mit Behinderung nicht benachteiligt werden.
- Dass ein Mensch, der keine Arme hat, trotzdem kein Flugzeug führen kann, erscheint logisch. Aber wie verhält es sich mit Behinderungen, die durch heutige Technik so angegangen werden können, dass 100%ige Funktionalität hergestellt wird?
Oder um konkreter zu werden: Warum sollten Menschen mit Kurzsichtigkeit(Astigmatismus etc.) mit -8 Dioptrien oder auch mit -10 Dioptrien, die durch Kontaktlinsen, Brille oder meinentwegen auch Laser (entsprechende Langzeiterfahrungen vorausgesetzt) 100% Sehschärfe erreichen, vom Beruf des Piloten ausgeschlossen, bzw. dadurch wegen ihrer Behinderung benachteiligt werden?
Wie gesagt, ich bin Mediziner und kein Jurist, aber ich finde dies sollte dringend mal von Rechtsexperten evaluiert werden.
Absolut absurd ist meiner Ansicht nach auch die Dioptrien-Grenze in dem JAR-FCL dings. Geht mal spaßeshalber zu eurem Augenarzt und lasst euch eine Linse mit der entsprechenden Dioptrienzahl vor die Augen halten - ihr werdet sehen, ob mit -6 oder mit -10, eine Landebahn sieht man aus 2000 Metern Höhe mit absoluter Sicherheit nicht. Man kann jetzt argumentieren "Na irgendwo mussten Sie ja eine Grenze ziehen". Schon klar. Gerade was Augen angeht gibt es doch in den USA z.B. keine Dioptriengrenze, oder bin ich da falsch informiert?
Meines Erachtens nach sollte eine Grenze eben nur da gezogen werden, wo wie schon erwähnt 100%ige Funktionalität im Vergleich zu einem Gesunden nicht, oder nicht ohne erheblichen Aufwand hergestellt werden kann.
Sooo. Warum schreibe ich das alles? Ich hab halt gesehen, dass es viele Leute gibt, die wegen irgendeinem körperlichen Scheiss kein Klasse1 Medical kriegen, und wollte meine Gedanken dazu einfach mal in die Runde schmeißen. Ich glaube, wer gut Rechtsschutzversichert ist, sollte mal über eine entsprechende Klage beim Bundesverfassungsgericht nachdenken! Allerdings sollte man sich vorher schon etwas juristisch beraten lassen, weil vielleicht ist das auch alles Schmarrn was ich hier erzähle, mir jedoch erscheint das recht logisch.
In diesem Sinne freue ich mich sehr auf eure Kommentare
LG
K.-J.
PS: Man könnte sogar noch weiter gehen und diese +3/-3 Dioptrien geschichte von der Lufthansa (oder war's Air Berlin?) für nicht Verfassungsgerecht erklären, aber das ist ja ein Privatunternehmen und da interferiert das bestimmt auch noch mit irgendwelchen Unternehmensgesetzen, wo man dann gar nicht mehr durchsteigt! |
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DuoDriver Senior First Officer

Anmeldungsdatum: 24.10.2006 Beiträge: 58
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Verfasst am: Mo Okt 26, 2009 7:41 pm Titel: |
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Moin, ich geb mal eine kleine und nur absolut oberflächliche Antwort, das Thema ist wahnsinnig komplex (Grundrechte usw).
Der Weg zum BVerfG. Sehr teuer und langwierig. Zunächst musst du (dein Kumpel) das Medical versuchen. Da dieses sicher scheitert, legst du Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid ein. Es folgen Gutachten (teuer) und am Ende wahrscheinlich das (vorläufig) endgültige Aus. Dann wirst du Verpflichtungsklage beim Verwaltungsgericht erheben müssen. Örtlich zuständig ist das Verwaltungsgericht Braunschweig (recht LBA nah von der Rechtssprechung was man so hört). Abgesehen von den nun sicher anfallenden Anwaltskosten werden mit Sicherheit wieder Gutachten erforderlich. Wenn du verlierst kannst du noch ne Instanz höher. Und auch ggf. Verfassungsbeschwerde einlegen. Bis hierhin hat dich der Spaß sicher schon einige tausend € gekostet. Und sicher auch 1-3 Jahre.
Das mal grob zum Ablauf. Bis du letztlich die endgültige Entscheidung (pos oder neg) hast bist du ne gute Stange Geld los (schätze im unteren 5stelligen Bereich) und einiges an Zeit und Nerven.
Kurz zum rechtlichen. Grundgesetze können eingeschränkt werden. Entweder durch/aufgrund von Gesetzen (steht im GG im jeweiligen Artikel) oder auch durch sogenannte verfassungsimmanente Schranken. Letztere greifen bei sogenannten schrankenlos gewährten Grundrechten und heißt letztlich nichts anderes als das das schrankenlos gewährte Grundrecht durch Grundrechte Dritter eingeschränkt wird.
Für deinen Kumpel heißt das: Zum einen könnte in den Jar-Fcl ein Verstoß gegen die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) liegen. Diese kann durch oder aufgrund Gesetzes eingeschränkt werden. Jetzt muss abgewogen werden (Zweck-Mittel usw.) gegen Gemeinwohlinteressen usw. Ich denke die körperliche Unversehrtheit Dritter wird dem Interesse deines Kumpels vorgehen.
Zum anderen ist ein Verletzung des Art. 3 GG denkbar: Absatz 3 ist schrankenlos. Also muss man gucken ob andere Grundrechte eventuell verletzt werden können. Hier wohl zumindest Art. 2 (körperliche Unversehrtheit).
Du siehst, es ist sehr schwierig, insbesondere kann man hier keine definitiven Antworten geben. Ich habe auch wirklich nur sehr oberflächlich geantwortet. Die Materie ist höchst kompliziert und komplex und könnte gut Bücher füllen. |
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EDML Moderator

Anmeldungsdatum: 19.09.2007 Beiträge: 4193
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Verfasst am: Mo Okt 26, 2009 8:44 pm Titel: |
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So einfach ist das alles nicht. Wo willst Du denn die Grenze ziehen ? Wenn man das weiter spinnt, warum darf ein Blinder nicht Pilot werden ?
Warum darf jemand, der die Klausuren im Studium nicht schafft kein Arzt werden ?
Es muß nunmal Grenzen geben - wo diese liegen wird durch gesellschaftliche Normen und entsprechende Gremien bestimmt (JAA). Das ist verfassungsrechtlich nicht angreifbar.
Das GG garantiert Dir nicht, daß Du jeden Beruf ergreifen kannst, das hast Du falsch verstanden.
Angreifbar wäre nur, wenn die Grenzen nicht für alle gleich wären (z.B. für Frauen -3 Dioptrien aber für Männer -6).
Gruß, Marcus |
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TopPoint Bruchpilot

Anmeldungsdatum: 26.10.2009 Beiträge: 6
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Verfasst am: Mo Okt 26, 2009 8:59 pm Titel: |
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Ja, in der Tat, vielleicht habe ich das alles ein wenig zu oberflächlich gesehen. Habe den Abend auch noch ein wenig mit Gesetzesrecherchen verbracht und wie von DuoDriver schön dargelegt, ist das Thema in der Tat doch etwas komplexer! Naja, war auch nur so ein Geistesblitz - dachte, die Diskussion lohnt vielleicht!
LG
Nachtrag: Über den Konflikt bezüglich der körperlichen Unversehrtheit habe ich auch schon nachgedacht - nur ist da doch die Frage, wodurch die körperliche Unversehrheit gefährdet sein könnte bzw. warum sie durch einen Piloten mit -6 nicht gefährdet ist.
@Markus: Das Beispiel mit dem Blinden ist wie meins mit dem Menschen ohne Arme - ich meinte extra Behinderungen, bei denen durch Korrekturen eine Organleistung wie bei einem Gesunden erreicht werden kann. |
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EDML Moderator

Anmeldungsdatum: 19.09.2007 Beiträge: 4193
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Verfasst am: Mo Okt 26, 2009 11:51 pm Titel: |
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Das Problem bleibt das gleiche: Wo zieht man die Grenze. Es gibt heute tolle Prothesen, mit denen man viel besser laufen oder greifen kann als mit "echten" Armen - lässt man das dann zu ?
Irgendwo muß man halt die Grenze ziehen - das das im Einzelfall häufig hart ist, steht außer Zweifel.
Übrigens: Als das alles noch in Deutschland lokal lief (und nicht nach JAA), war es noch viel härter: Da galten +/-3 Dioptrien ohne Ausnahmen. Nach JAR sind wir jetzt immerhin schon bei +5/-6.
Gruß, Marcus |
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Romeo.Mike Captain


Anmeldungsdatum: 04.02.2003 Beiträge: 4355
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Verfasst am: Di Okt 27, 2009 9:40 am Titel: |
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Moin,
das Ganze hat auch noch das Problem dass es sich hier um europäische Gesetze gilt die auch in Deutschland im Sinne der Harmonierung eingeführt wurden. Allerdings sucht sich hier das LBA sehr stark aus was sie davon akkzeptieren wollen und was nicht.
Das zweite und größere Problem dürfte hier dann sein, dass ein öffentliches Interesse dem individuellen Interesse überwiegt, da hier das LBA garantiert mit der Sicherheit Argumentieren wird.
Das ist leider alles ein sehr schwieriges Thema und es wird wohl leider nie eine Lösung geben die jedem gefallen wird. Ich selbst würde mir auch eine weitere Lockerung der Richtlinien wünschen und ein Blick über den Teich zeigt dass heute mit Technik vieles möglich ist und dort auch Piloten, die hier nach europäischen Recht nicht fliegen dürften, sicher Flugzeuge von A nach B bewegen, viel schlimmer sogar, Flugzeuge sogar im europäischen Luftraum bewegen. Zum Glück ist der Trend in den letzten Jahren in die richtige Richtung gegangen und die Richtlinien wurden bereits entschärft.
Gruß
Romeo Mike |
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DuoDriver Senior First Officer

Anmeldungsdatum: 24.10.2006 Beiträge: 58
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Verfasst am: Di Okt 27, 2009 2:51 pm Titel: |
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Natürlich wünsche ich mir auch eine weitere Entschärfung der Richtlinien. Ich habe ja selber lange auf meine Tauglichkeit warten müssen und freue mich umsomehr sie endlich zu haben.
Ich selber würde auch Piloten mit schlechteren Dioptrien (bei optimaler Korrektur) fliegen lassen. Nur wie bereits gschrieben, das öffentliche Interesse wird hier wohl zunächst überwiegen. Bis wir amerikanische Verhältnisse haben dauer es (leider) noch eine ganze Weile, falls wir es überhaupt jemals erreichen.
Aber für deinen Kumpel gilt was auch für mich und alle andere mit Problemen beim MEdical gilt. GEduld haben und den Glauben daran nicht verlieren. In der Zwischenzeit etwas anderes lernen. Man kann auch nach der Asbildung/Studium noch fliegen lernen. Die meisten dürften dann auch noch unter 30 sein und hätten noch 35 Jahre in der Fliegerei zu tun.
Also nie den Mut verlieren. |
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joyflight Captain

Anmeldungsdatum: 13.08.2009 Beiträge: 2166 Wohnort: München  |
Verfasst am: Di Okt 27, 2009 10:27 pm Titel: grundsatz bezüglich grundrecht |
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ich zitiere einen weisen lehrer, aus dessen spruch sich sämtliche weiteren regeln, gesetze und untergesetze ableiten:
"es gehört nicht zum grundrecht eines menschen, 737 zu fliegen"
und ich würde hinzufügen: und schon ganz und gar nicht bei einer ganz bestimmten firma.
mit der gleichen begründung könnte man sich ja ansonsten ins parlament, auf den kanzlerjob, oder zum vorstandsvorsitzenden jedes beliebigen unternehmens klagen - auch ohne fachanwalt zu sein scheint es logisch, dass der rechtsweg dafür ausgeschlossen ist.
weiterhin, in vorsorge zu eurer überlegung, dass irgendein gewiefter anwalt irgendwasfür theoretische gesetze trotzdem verbiegt: bei abschluss eines vertrages, auch eines arbeitsvertrages, dürfen auf beiden seiten selektionen nach eignung durchgeführt werden: dieser theoretische generelle rechtsweg würde also doch nichts bringen.
ich wünsche euch wie von einem vorredner schon angedeutet, viel spass in der privaten fliegerei - oder dann halt in amerika (oder bei einer nicht-elitären airline)
gruß,
udo _________________ http://www.facebook.com/groups/pilotsandstudents/ |
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gmogmo Captain

Anmeldungsdatum: 15.12.2006 Beiträge: 80
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Verfasst am: Mi Okt 28, 2009 12:27 am Titel: |
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kleiner gedanke der mir noch so kommt...
mal angenommen man macht ne nette klage vorm bundesverfassungsgericht und bekommt sogar recht (also wirklich nur theoretisch). dann würden alle airlines, die die +/-3 dioptren-grenze für gut halten, einfach ohne angabe von gründen alle leute, die außerhalb dieser werte sind ohne angabe dieses grundes nicht nehmen.
genau das ist der grund, warum sich firmen bei der bewerberauswahl nicht gern in die karten gucken lassen wollen und warum die absagen, die man erhält sehr spärlich sind. alle begründungen sind nunmal rechtlich anfechtbar. bei der größten deutschen airline kann man eigentlich schon von glück reden, dass man überhaupt eine rückmeldung bekommt - das sparen sich viele andere firmen einfach. wobei: dieses nette argument "mit blick durch die lufthansabrille passen sie einfach nicht zu uns" ja schließlich nichts sagt und auch nicht anfechtbar ist. |
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toolowterrain Bruchpilot

Anmeldungsdatum: 29.10.2009 Beiträge: 10
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Verfasst am: Do Okt 29, 2009 12:48 pm Titel: Juristischer Exkurs |
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Hallo zusammen,
als bisher nur stiller Mitleser muss ich mich jetzt doch zu Wort melden. Nach meinem Studium der Rechtswissenschaften in Freiburg und dem Staatsexamen schreibe ich gerade an meiner Doktorarbeit.
Ich bin auch einer von denen, die aus gesundheitlichen Gründen einen anderen beruflichen Weg eingeschlagen haben - den juristischen. Daher möchte ich hier - anknüpfend an DuoDiver - die juristische Situation erläutern.
Bei den JAR-FCL-3 handelt es sich um eine Rechtsverordnung, also um inländisches Recht, das vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht angreifbar ist. Ob die Gesetzesfassung auf einem europäischen Vorschlag basiert ist insoweit irrelevant.
Zur Vereinbarkeit von JAR-FCL-3 mit Art. 12 (Berufsfreiheit): Natürlich kann es auch die Berufsfreiheit nur in Schranken geben, wie DuoDiver richtig ausgeführt hat. Tatsächlich kommt hier der Schutz der Allgemeinheit als wichtiges Gut in Betracht, das Einzelinteressen zu überwiegen vermag. Es lässt sich zusammenfassen: ein Eingriff in Grundrechte ist durchaus verfassungskonform, wenn er gerechtfertigt ist.
Was DuoDiver allerdings nicht erwähnt hat, ist, dass die Rechtsprechung zu Art. 12 GG eine Stufentheorie entwickelt hat. Je intensiver der Eingriff in Art. 12, desto höher die Rechtfertigungsschwelle. Die Intensität bestimmt sich nach folgenden Kriterien: 1. Wird nur die BerufsAUSÜBUNG betroffen 2. Wird an subjektive Kriterien, die der einzelne in der Hand hat (z.B. Abiturnote) angeknüpft? 3. Wird an objektive Kriterien angeknüpft, die der einzelne "nicht in der Hand hat" (z.B. körperliche Voraussetzungen)?
Bei Eingriffen der 3. Stufe (objektive Kriterien) setzt die Rechtsprechung des BVerfG eine besonders hohe Rechtfertigungsintensität voraus: es muss sich um überragend wichtige Gemeinschaftsgüter handeln, die Verhältnismäßigkeit muss in besonderem Maße gewahrt sein. Warum ist das so? Weil der Betroffene es eben selbst nicht steuern kann, ob er die Kriterien erfüllt oder nicht - sie sind ihm quasi "angeboren" oder aufgedrängt (z.B. Beschränkungen bei der Niederlassung von Kassenärzten).
Bei den Flugtauglichkeitsrichtlinien handelt es sich weitestgehend um Kriterien der 3. Stufe, da der einzelne nicht selbst bestimmen kann, ob er 3 oder 5 oder 10 Dioptrien hat. Daher sind an die Rechtfertigung BESONDERS HOHE Anforderungen zu stellen.
Ich zweifle daher an der Vereinbarkeit von JAR-FCL 3 mit dem Grundgesetz. Zwar ist die Sicherheit der Passagiere und der Bevölkerung sicher ein überragend wichtiges Allgemeingut. Folgende Bedenken hinsichtlich der gesetzten Grenzen drängen sich aber auf:
1. Es ist offensichtlich medizinisch nicht eindeutig, ab wieviel Dioptrien ein Pilot eine tatsächliche Gefahr darstellt. Erst waren es -3, dann -5, jetzt -6 Dioptrien. Zur Rechtfertigung des Eingriffs in Art. 12 GG. wäre ein medizinisch fundiertes Gutachten erforderlich, dass ein Pilot mit -7 Dioptrien eine tatsächliche Gefahr darstellt.
2. Möglicherweise kommt als milderes Mittel statt der Fluguntauglichkeit eine häufigere augenärztliche Untersuchung in Betracht, da es sich sonst um einen besondes schweren Eingriff in Art. 12 handelt. Möglicherweise genügt auch die Auflage, immer zu zweit zu fliegen (gibt es auch bereits).
3. Die ICAO selbst fordert keine Dioptriengrenze. In Deutschland landen täglich Boeing 747 mit Piloten mit über 10 Dioptrien (USA), weil in den USA eine solche Dioptriengrenze nicht existiert. Also geht Deutschland davon aus, dass auch diese Flüge sicher sind. Insofern stellt sich wieder die medizinische Frage - beweispflichtig ist hier aber wohl der Staat, der hier sehr widersprüchlich handelt!
4. Eine willkürlich gezogene Grenze ist nicht zulässig. Dass es aber eine Grenze geben muss, ist klar. Nur muss diese medizinisch aus Wahrscheinlichkeitsrechnungen (z.B. Gefahr der Netzhautablösung) belegbar sein.
5. Der Staat hat sich entschieden, auch Raucher flugtauglich zu erklären. Abgesehen davon, dass Rauchen ein subjektives Kriterium ist (jeder kann damit aufhören), sind Raucher erwiesenermaßen deutlich erhöhten Gesundheitsgefahren ausgesetzt - wie auch Menschen mit Sehschwäche. Der Staat hat sich dennoch dafür entschieden, diese Menschen fliegen zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach betont, dass eine typisierende Grenzziehung zulässig ist, diese dann aber konsequent durchgezogen werden muss. Dass das hier nicht der Fall ist, liegt auf der Hand.
6. Für den Punkt Nr. 5 gibt es diverse weitere Beispiele. Der Staat darf zwar selbst entscheiden, welches Maß an Sicherheit er setzt. Er muss es aber dann konsequent umsetzen.
Mein Fazit: eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht ist nicht SO aussichtslos, wie es in diesem Thread dargestellt wurde. Trotzdem kann man - wie es DuoDiver formulierte - keine definitive Auskunft geben. Letztlich sprechen aber gute Argumente für eine verfassungswidrigkeit, die erstmal widerlegt werden müssen.
ZUM THEMA LUFTHANSA:
Lufthansa verlangt von Bewerbern eine bessere Sehstärke als das Gesetz es fordert. Ist das zulässig?
Fraglich ist dies vorallem wegen des neuen sog. "Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz". Dieses besagt:
§ 7 I AGG : Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden;
§ 1 AGG: Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.
Grundsätzlich ist also eine Benachteiligung wegen einer höheren Sehstärke unzulässig. Ausnahme hierzu:
§ 8 I: Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.
Das ist jetzt eine Auslegungsfrage. Wegen der Grundrechte würde ich aber meinen, dass der Gesetzgeber selbst eine Grenze für die Dioptrien gezogen hat und damit eine höhere Anforderung nicht mehr "angemessen" wäre. Sonst wäre ja die Grenze des Staates unzureichend? Das AGG soll es ja gerade untersagen, dass Arbeitgeber höhere Anforderungen an ihre Beschäftigenauswahl stellen, als unbedingt notwendig. § 8 erfasst wohl eher Fälle wie bei einer Opernsängering, bei der zwangsweise auf das Geschlecht abzustellen ist. Zwar hat die Flugtauglichkeit für Piloten sicher einen hohen Stellenwert. Was aber dafür genügt, hat der Staat bereits entschieden, indem er die äußerste Grenze gezogen hat. Ob eine "engere" Grenze beim einzelnen Arbeitgeber zulässig ist, ist doch sehr fraglich.
Eine Klage wäre m.E. hier erfolgsversprechend; mich wundert es, dass es eine solche nicht schon lange gegeben hat.
Ich freue mich auf eine Diskussion.
Viele Grüße
Chris |
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toolowterrain Bruchpilot

Anmeldungsdatum: 29.10.2009 Beiträge: 10
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Verfasst am: Do Okt 29, 2009 12:55 pm Titel: Nachtrag |
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@DuoDiver: Das Tauglichkeitszeugnis ist nach wohl h.M. kein Verwaltungsakt. Daher ist eine Verpflichtungsklage wohl nicht statthaft (§ 44a VwGO) - wohl eher eine Feststellungsklage? Bin mir aber auch nicht sicher, muss im Kommentar schauen.
Darauf kommt es aber auch nicht an, weil das Begeheren vom Gericht sonst umgedeutet wird. |
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Domte Captain

Anmeldungsdatum: 07.08.2007 Beiträge: 2394
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Verfasst am: Do Okt 29, 2009 1:14 pm Titel: Re: Juristischer Exkurs |
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Vielen Dank für deinen fundierten Exkurs ... es ist doch sehr interessant mal die juristische Seite zu diesem Thema zu `hören´.
| toolowterrain hat folgendes geschrieben: | ...
Eine Klage wäre m.E. hier erfolgsversprechend; mich wundert es, dass es eine solche nicht schon lange gegeben hat.
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Mich wundert es auch, dass so eine Klage nicht schon eingereicht wurde.
Aber nun mal ganz ehrlich wenn ein Unternehmen nicht unerheblich finanzielle Mittel in die Ausbildung eines Auszubildenen investiert, im Falle der Lufthansa circa 120K, dann sollte es auch die gesundheitlichen Rahmenbedingungen stecken dürfen.
Darüber hinaus muss man bedenken, dass ein Kläger als Querulant abgestemplet wird und durch Schulinternetests oder auch Fähigkeitsüberprüfungen relativ schnell entsorgt werden kann ... vorrausgesetzt er übersteht das DLR Auswahlverfahren, welches nach nicht öffentlich zugänglichen Anforderungsprofilen ausgewertet wird.
M.f.G.
Dom _________________ Speed is life - Altitude is life insurance!
Anything that is unrelated to elephants is irrelephant. |
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